Es war noch zu Zeiten des Insellords Misjutu, da begann die Geschichte des Lagers an einem Ort, der zunächst überraschen mag: in der Stadt Hamur. Eine der beiden Familien, welche die Schreinerkaste bildeten hörte auf den Namen Dhana und war für ihre exakten arbeiten bekannt, auch wenn deren Anfertigung etwas dauerten. Die Familie Shoruum hingegen stellte möglichst viel Ware her, die verständlicherweise auch weniger gut gefertigt war, und dementsprechend billiger weggegeben werden konnte. Die Familien waren auch in anderer Hinsicht sehr verschienden. Während die Dhana’s immer darum bemüht waren, einen sehr zivilisierten Lebensstiel zu pflegen, waren die Shoruum nur darauf bedacht, möglichst viel Einfluss zu erreichen. Wie wohl eine Heirat zwischen diesen Familien der sehr gespannten Situation auch gedient hätte, so war klar, dass keines der beiden Familienoberhäupter jemals sein Einverständnis dazu gegeben hätte.
Obwohl immer wieder Verleumdungskampagnen gegen die Familien Dhana unternommen wurden, wog sich diese in Sicherheit, denn ihre Käufer, hauptsächlich die bessergestellten, einflussreichen Häuser der Stadt, vermochten dem Gehabe der Shoruums immer wieder Einhalt zu gebieten. Es war ein schlimmer Tag, an den sich die Familienmitglieder der Sippe Dhana nur sehr ungern erinnerten, als die trügerische Sicherheit mit der Ankunft eines Boten endetet, der direkt vom Palast gelaufen kam. Als Sohn einer befreundeten Familie brauchte dieser nicht lange an die Tür zu klopfen, bis er eingelassen und zum Familienoberhaupt Dhana Riuton gebracht wurde. Der Bote wusste zu berichten, dass in jenem Augenblick ein Sprecher der Sippe Shoruum beim Insellord eine Audienz erhielt, in welcher er darlegte, dass die Familie Dhana mit bösen Mächten im Bunde stünde. Beispielsweise seien Nachbarn jener Haushalte, die Möbel der Dhanas bezogen hatten, trotz untadeligem Lebensstil schwer erkrankt, Häuser mit Türen der Dhanas seien erstaunlich oft von Dieben heimgesucht worden und die Dhanas selber hätten sich auch schon im Beisein prominenter Zeugen gegen die Art des Herrschens des Insellords ausgesprochen. Auch wenn die ersten beiden Aussagen Zufall oder Manipulation durch die Shoruum selbst gewesen sein konnten, so traf zumindest die letzte Aussage teilweise zu. Zwar hätte niemals einer der Dhanas in der Öffentlichkeit solch brisante Themen angeschnitten, doch traf es durchaus zu, dass hinter verschlossenen Türen manchmal kritisch über Politik, die Welt und die Götter debattiert wurde. Dies war wohl hauptsächlich auf den kulturell interessierten Lebensstil der Dhanas zurückzuführen, zu welchem auch das Lesen und das Diskutieren gehörten.
Alleine schon die Tatsache, dass die Shoruum den Insellord auf ihre Seite zu bringen vermochten, verhiess für die Dhanas nichts Gutes. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis man sie verhören würde. Und niemand wusste, was die Shoruums noch alles geplant hatten, um ihre Konkurrenten definitiv loszuwerden. Hatten die ungewöhnlich hohen Tempelspenden in letzter Zeit auch etwas damit zu tun? Nach kurzer Diskussion unter den Männern der Familie (Riuton und seinen beiden Söhnen Sayon und Mengesh) und angesichts der wirklich widrigen Umstände wurde beschlossen nicht zu bleiben und der Intrigen zu harren, die noch kommen mochten, sondern aus der Stadt zu fliehen und dort an einem geheimen Ort eine neue Existenz zu gründen. Es mag nicht verheimlicht werden, dass auch diese Idee durch eine der Lektüren inspiriert wurde, die dem Hause Dhana zugetragen wurde.
Gepackt wurde nur das nötigste und mit dem Wagen, der normalerweise zum Holztransport aus dem Wald in die Stadt genutzt wurde, brach man noch am selben Tage auf. Den Wachen am Tag fiel es zwar schwer zu glauben, dass in der Mitte des Nachmittags noch die ganze Familie (Riuton, dessen Söhne Sayon und Mengesh, dessen Frau Zhati, 4jähriger Sohn Sanyarin und Töchter Uisha (2 Jahre) und Isomi (1 Jahre), sowie der Diener Giuar) zum Holz schlagen in den Wald fuhren, doch dachten sie sich nichts dabei. Noch vor den schwarzen Stunden erreichte der Trupp den Wald und Sayon und Mengesh zogen den Wagen von der Strasse in das Dickicht.
Bereits die erste Nacht im Wald gereichte zu einer Tragödie als die völlig unvorbereiteten Stadtbewohner von einem Ungeheuer überfallen wurden. Es kam zu einem kurzem Kampf, in welchem Riuton Wunden davontrug, denen er noch im Verlaufe der Nacht erlag. Wieviele Tage die Familie auf der Suche nach einem geeigneten Ort zum Bau eines neuen Heims quer durch den Wald zogen, vermag niemand mehr genau zu sagen. Es ist purer Zufall, dass in den kommenden Nächten nicht noch weitere Angriffe von Bestien des Waldes stattfanden.
Als sie in der Nähe des Vulkans eine kleine an einen Bachlauf und den Waldrand grenzende Ebene fand, beschlossen die Brüder, sich dort niederzulassen. Die beiden Hütten, die innerhalb weniger Tage errichtet wurden, boten zum einen der Familie Schutz und Wohnraum, dienten ihnen aber auch als Küche und Lager, sowie als Arbeitsstätte, für handwerkliche Arbeiten, die man draussen nicht erledigen kann. Und es zeigte sich je länger desto mehr, dass der Schutz der massiven Holzwände und der Tür während der Nacht durchaus benötigt wurde. Nicht selten wachten die Familienmitglieder mitten in der Nacht ob eines unheimlichen Geräusches von draussen auf, doch niemand war so wahnsinnig um nach der Ursache zu sehen. Es genügte ihnen am Morgen aufgrund der Spuren der unheimlichen, nächtlichen Besucher zu erschaudern.
Hatte sich auch das Problem des Schutzes gelöst, so sah sich die Familie bald schon durch ein anderes bedrängt. Die Nahrungsmittel, die man aus der Stadt mitgenommen hatte, gingen trotz Einschränkung langsam aus. Das kleine Gärtchen, welches Zhati angelegt hatte, brachte noch lange keine Früchte hervor und würde auch nicht ausreichen, um die Familie zu versorgen. Sayon und Mengesh beschlossen deshalb einige Gebrauchsgegenstände aus Holz zu fertigen, um sie bei den Bauern gegen Nahrung einzutauschen. Der Versuch schlug aber fehl, denn obwohl die Bauern die Gegenstände gut hätten gebrauchen können, so vermochten sie nur wenig Reis zu entbehren, ohne selber Hunger leiden zu müssen. Und obwohl die Brüder dieses Mal mit ein wenig Reis zurückkamen, so konnten sie sicher sein, dass dieser Handel ihren Bedarf an Lebensmitteln nicht decken konnte. Auf die Dauer konnte nur der Handel mit Stadtbewohnern, dieses Problem beheben.
Dennoch dauerte es noch einige Tage, bis Mengesh, der jünger und wagemutigere der Brüder, den Entschluss fasste, als Bauer verkleidet in die Stadt zu gelangen um dort einige alte Bekannte aufzusuchen. Währenddem sein Bruder im Wald wache stand, hielt Mengesh einen Bauern an, der mit seinem Heuwagen auf dem Weg in die Stadt war. Mengesh gab vor, etwas mitfahren zu wollen, was der Bauer auch bereitwillig zuliess. Als Mengesh jedoch den Zielort des Heus, die Herberge Tschio’Tha, erfahren hatte, stiess ihn Mengesh vom Wagen und übergab ihn seinem Bruder, der bis am Abend auf ihn aufpassen sollte. Auf dem gestohlenen Wagen und in den Kleidern des Bauern fuhr Mengesh nun zur Stadt und wurde ohne Probleme eingelassen.
Sobald er das Heu abgegeben und die bereitgestellten Tauschwaren eingepackt hatte, begab er sich zu guten Freunden, von denen er wusste, dass er ihnen vertrauen konnte. Er erzählte ihnen von den Ereignissen und berichtete auch vom Tode Riutons. Da alle Handwerken, mit denen Mengesh gesprochen hatte, die intriganten Zustände der Stadt sehr wohl kannten, war es für keinen von ihnen ein Problem den Dhanas zu helfen, auch wenn die Religion dies eigentlich untersagte. Jeder versprach Mengesh ihnen gegen bestellte Holzgegenstände Nahrungsmittel zu liefern. Als Tauschort wurde der nur wenige Stunden von der Stadt an der Strasse liegende Wald ausgemacht, dort wo die Brüder Dhana auch den Bauern überwältigt hatten. Genau dorthin kehrte Mengesh mit einigen Lebensmitteln noch am Abend desselben Tages zurück, wo er dem Bauern, der die Welt nicht mehr verstand, seinen Wagen und die ertauschten Güter übergab. Hierrauf suchte dieser schnellstens das weite, währenddem sich auch die Brüder beeilen mussten um noch vor Anbruch der schwarzen Stunden zu ihren Hütten zurückzukehren.
Viele Tage zogen ins Land und im Wald draussen kehrte so etwas wie Normalität ein, auch wenn diese durch den Tod des Dieners Guiar überschattet wurde. Er erlag nach längerem Siechtum und rührender Pflege Zhatis einem blutigen Husten. Die Kinder wuchsen heran und vor allem Sanyarin, Mengesh’s ganzer Stolz, schien sich in der Natur sehr wohl zu fühlen. Viel schwieriger taten sich da die beiden Männer. Auch wenn sie Bögen und Pfeile gefertigt hatten, konnten sie mit diesen nicht umgehen und liessen die Jagd nach unzähligen fruchtlosen Versuchen bleiben. Lieber konzentrierten sie sich auf ihr Handwerk und den Nahkampf mit Messern und anderen kurzen Holzwaffen, der ihnen in dieser gefährlichen Gegend lebenswichtig schien. Hin und wieder zeigte sich dieses Training als grosses Glück, denn auch am Tage trifft man im Wald auf Monster, die Menschen anfallen. Die meisten dieser Treffen endeten mit etlichen Wunden für beide Parteien immer mit einem Remis.
Als einer der Brüder (vor ca. 19 Jahren) das erste Mal wirklich schwer verletzt wurde, waren die sie gerade wieder einmal auf dem Weg zum Tauschplatz, wo sie von einem befreundeten Papierfertiger Namens Okoshi Awwe erwartet wurden. Ein Nihsho (ein grosses, grün-graues Hornplatten-Wildschwein) rammte Mengesh in den Bauch, worauf dieser sich selber nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Da es aber bis zum Tauschplatz nicht mehr sehr weit war, beschloss Sayon seinen Bruder bis dorthin zu tragen, vielleicht, so hoffte er, wüsste Awwe einen guten Rat um den Geschwächten wieder zu stärken. Als sich Sayon dem Tauschplatz näherte, so sah er Awwe nicht wie gewohnt auf einem Stein sitzen, sondern unruhig auf und ab gehen. Währe Sayon nicht so in Sorge um seinen Bruder gewesen, er hätte dies Detail, das er jetzt einfach ignorierte, richtig gedeutet, und wäre nicht in den Hinterhalt geraten, welchen ihm eine handvoll Guerai gelegt hatte.
Umringt von fünft mit Schwingen bewaffneten Männern, konnte Sayons Heil nur noch in der Flucht liegen, doch weigerte sich ein Teil in ihm, seinen Bruder einfach so im Stich zu lassen. Erst eine von Awwe ausgeteilte saftige Ohrfeige liess diese Zweifel verstummen und in einem günstigen Augenblick der Unachtsamkeit der Brigantai schlugen sich Awwe und Sayon in die Büsche, wo es ihnen gelang die Guerai abzuhängen. In einem anschliessenden Gespräch stellte sich heraus, dass die Familie Shoruum irgendwie von den geheimen Handeln mit den eigentlich schon längst in der Stadt tot geglaubten Dhanas erfahren haben mussten. Sie berichteten davon jedenfalls dem Insellord und dieser sandte einige Guerai aus, um diesen Makel in seinem Herrschaftsbereich zu tilgen. Diese nahmen Awwe fest und zwangen ihn sie zum Tauschplatz zu führen, wo sie sich auf die Lauer legten. Awwe war klar, dass jetzt, da man einen Kollaborateur gefunden hatte, die Guerai nicht ruhen würden, bis sie auch die restlichen erwischt hatte. Auch sie mussten flüchten, wollten sie nicht der Willkür der Rechtssprechung des Insellords ausgesetzt sein.
Bevor Sayon Awwe zu den Hütten brachte, bestand er darauf nachzusehen, was mit seinem Bruder passiert sei. Doch am Tauschplatz fand sich weder eine Leiche noch Blutspuren. Wie man in den nächsten Tagen erfuhr, wurde Mengesh aber auch nicht in die Stadt gebracht. Vermutlich ist er noch während des Transportes in die Stadt gestorben und man hat seine Leiche einfach am Strassenrand liegen lassen, wo sie in der Nacht irgendein wildes Tier geholt hat.
Die Nachricht des Todes des Ehemannes und Vaters stürzte die Familie in tiefe Trauer, und es war nur dem Einsatz Awwes zu verdanken, dass die aus der Stadt flüchtenden Handwerker und ihre Familien den Weg zu den Hütten fanden. Ansonsten wären angesichts der Gefahren der Nächte und der ungewohnten Umgebung viele der Flüchtlinge dem Tod geweiht gewesen. Und mit den Menschen kamen ebenfalls neue handwerkliche Fertigkeiten in die Wildnis. So wuchs die Zahl der Personen in den beiden Hütten innerhalb der nächsten paar Tage auf über 40 heran. Zumal die Flüchtlinge wussten, dass sie hauptsächlich Nahrungsmittel mitnehmen sollten und sich einige Personen gar auf die Jagd und das Zubereiten von Fleisch verstanden, so war das nächste dringende Problem der Bau neuer Hütten. Und bald schon standen sieben weitere Holzhütten beisammen am Waldrand.
Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Dorfes war schon bald darauf die Ankunft eines Bauernehepaares, wobei sich die Frau in ungewöhnlich viel Stoff gehüllt hatte. Vermutlich wären die beiden auf der Verstelle verjagt oder gar getötet worden, wenn nicht Zhati eingetriffen hätte. Sie nahm die Bauern in Schutz und setzte in resolutem Ton gegen den Willen vieler Männer durch, dass dieses Paar hier bleiben könne, auch wenn die Frau offensichtlich an einer schweren Krankheit littt. Zhati hatte damals eine mit einer Masha vergleichbaren Stellung inne, das sie immerhin die erste Frau in dieser inzwischen zu einem kleinen Dorf herangewachsenen Hüttenansammlung gewesen war. Zhatis Intervention sollte sich als ein Geschenk für das gesamte Dorf erweisen, denn nachdem trotz Zhatis Pflege schon nach wenigen Tagen seine Frau gestorben war, begann der Bauer einen Acker anzulegen, auf welchem er Reis und etwas Gemüse anpflanzte. Die Ernte würde reichen um das ganze Dorf zu ernähren, da ja keine Steuern bezahlt werden mussten. Man war nicht mehr länger auf Nahrungmittel aus der Stadt angewiesen.
Während alles zum besten zu gereichen schien, brodelte es hinter der Tür der Dhanas. Sayon, der niemals über den Tod seines Bruders hinwegkam, den er nach seiner Meinung mitverschuldet hatte, begann immer mehr radikale Ansichten zu entwickeln. Er wollte den Insellord und die Familie Shoruum für all das bezahlen lassen, was er der Familie angetan hatte. Diesbezüglich begann er selber mit Metallwaffen zu trainieren, welche Handwerker aus der Stadt mitgebracht hatten und drängte auch Sanyarin (eben erst mal 6 Jahre alt) immer wieder dazu ebenfalls mit Schwingen zu spielen. Heftige Diskussionen zwischen ihm und Zhati waren ab und zu auch draussen noch zu vernehmen. Nicht selten wiederholte Zhati, dass sich Sayon seit dem Tode ihres Mannes stark verändert habe und dass sie beginne sich vor ihm zu fürchten. Ausserdem verbot sie ihm ihren Sohn mit Waffenspielen zu verderben.
Tag um Tag verstrich, ab und zu trafen neue Personen aus Zufall auf die Hüttenansammlung, und das Dorf entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Ort des friedlichen Zusammenlebens. Einige Dinge, wie zum Beispiel die Verehrung der Neugötter wurde beibehalten, während andere Sachen wie das Kastendenken den Umständen angepasst, in diesem Fall weitestgehend weggelassen wurden. Jeder trug soviel er konnte zur Dorfgemeinschaft bei; man lernte einander zu schätzen. Und obwohl man in ständiger Angst davor leben musste, dass eines Tages der Insellord von diesem Dorf erfahren würde, so begann man Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Der Tag des Blutes (vor ca. 16 Jahren) stellte das abrupte Ende dieser trügerischen Idylle dar. Niemand konnte sich genau erklären, wie der Insellord von dem Dorf erfahren hatte, doch am besagten Mittag ritten einige Schwertmeister auf ihren Prunkkäfern in das Dorf ein. Wie sich später zeigte, war das Dorf unter Bauern ein beliebtes Gesprächsthema geworden und ein Spitzel hatte es gefunden und ausgekundschaftet. Panik brach unter den Bewohnern aus und während die einen Hals über Kopf in den Wald flohen, versuchten andere die Schwertmeister mit Gaben milde zu stimmen und ihnen zu erklären, dass man selbstverständlich alle Steuern nachbezahlen werde, die man unterschlagen habe. Während Zhati als eine der Sprecherinnen zu den Reitern auf den prunkvollen Käfern eilte, hielt Sayon Sanyarin (inzwischen ca. 9 Jahre alt) zurück, der zusammen mit seiner älteren Schwester seiner Mutter nacheilen wollte.
Ein kleiner Wink des obersten Richters besiegelte das Schicksal des Dorfes. Ein Schwerthieb traf Zhati als erstes, durch welchen sie mit einem Schrei des Entsetzens in die Knie ging. Und Uisha, Sanyarins ältere Schwester, die in der Nähe der Mutter stand, wurde im Zuges des anlaufenden Angriffes von einem der Prunkläufer zu Tode gestampft. Dieses Mal handelte Sayon entschlossen. Er zog Sanyarin weg vom Geschehen in den Wald, so sich schon einige weitere Guerai aufgestellt hatten, um Flüchtlinge mit der Waffe zu empfangen, hiess der Auftrag doch die Männer zu töten und Frauen und Kinder festzunehmen, um sie in Sklaverei zu verkaufen. Doch Sayon und Sanyarin gelang es diese Linie zu durchbrechen und im Dickicht des auch noch so viele Gefahren bergenden Waldes Schutz zu finden.
Der Schrecken sass tief und es ist dem Zufall zuzuschreiben, dass sich einige Personen, die Flüchten konnten, wieder im Wald traffen. Sanyon, der sich von den Ereignissen am wenigsten verwirrt zeigte, führte zehn Überlebende zu einer ihm von früher her bekannten Höhle, in der sie zumindest geschützt übernachten konnten. Sie blieb aber nur für zwei Nächte Unterschlupf, denn als sich Sayon am darauffolgenden Tage zurück zum Dorf wagte, fand er nur noch die verkohlten Überreste der Hütten. Alles war geplündert und gebrandschatzt worden. Nichts hielt die wenigen Überlebenden, zu denen am Tage nach dem Überfall nochmals vier Personen stiessen, noch an diesem Ort des Unglückes. Angeführt von Sayon marschierten die Brigantai, dieser Status wurde am Tage nach dem Überfall offiziell vom Insellord für die Überlebenden festgesetzt, die Insel auf die der Stadt gegenüberliegende Insel, wo sie durch puren Zufall eine Lichtung fanden, welche von einem kleinen Fluss durchquert wurde. Dieser Platz, von einigen auch als Geschenkt der Götter betrachtet, war optimal für den Aufbau eines neuen Lagers.
Dieses Mal fehlten den Brigantai jedoch die Werkzeuge zum Bau neuer Häuser und so fertigten sie mehr oder weniger behelfsmässige Behausungen, welche aber bald schon wieder abgerissen und durch Zelte ersetzt wurden. Diese boten zwei entscheidende Vorteile gegenüber festen Häusern. Sie waren relativ schnell fertig, brauchten wenige Hilfsmittel und waren leicht zu transportieren, falls der Insellord wieder einen Angriff starten wollte. Vor allem Sayon war von dieser Idee wie besessen und er predigte solange, bis die Gegenstimmen verstummten, die davon ausgingen, dass der Insellord annehmen müsse, dass die Brigantai tot seien. Sayon war es auch, der zumindest die Männer anhielt sich im Umgang mit Waffen zum Schutz vor Monstern des Waldes und zum Schutz vor Guerai zu trainieren. Dass den Flüchtlingen nur Pfeile und Bögen, Knüppel, Keulen und Messer zur Verfügung standen, war ein bedauerlicher, aber nicht änderbarer Zustand.
Die erste Zeit im neuen Lager war für alle ziemlich hart. Glücklicherweise kannten sich einige Brigantai in der Jagd aus, so dass man zumindest keinen Hunger leiden musste. Und den Frauen war es möglich aus der Haut des erlegten Wildes Felle und Leder herzustellen, die sowohl zu Kleidung als auch zu den schon erwähnten Zelten verarbeitet wurden. Aber erst ein heimlicher, nächtlicher Besuch in einem Bauerndorf stattete das Lager wieder mit den nötigsten Werkzeugen aus. Auch wenn das ganz klar Diebstahl war und sicherlich grosses Leid über die Bauern brachte, so war für das Lager diese unschöne, von Sayon angeführte Tat überlebenswichtig.
So verstrich wieder viel Zeit, in der sich die ehemaligen Stadtbewohner je länger desto mehr den Gepflogenheiten des Waldes anpassten. Die Männer, und auch der jungen Sanyarin, lernten den Umgang mit Waffen wie Messer und Keulen, Pfeilen und Bögen und sogar mit aus hartem Holz selbstgeschnitzten Klingenwaffen. Die Frauen indessen begannen sich langsam mit den Knollen und Kräutern des Waldes vertraut zu machen. Und alles in allem wurde das ursprünglich erlernte Handwerk je länger je unwichtiger. Die Leute lernten die Gefahren des Waldes abzuschätzen und begannen sich immer mehr als Herren des Waldes zu fühlen, wo sie unantastbar waren.
Es war aber nur eine Frage der Zeit bis sich wieder das Gerücht breit machte, dass sich in den Wäldern Hamurs eine Brigantaibande versteckt halte. Vor allem die Diebstähle in den Dörfern führten zu diesem Gerücht, auf welches hin einige sehr seltsamen Personen zum Lager stiessen. Sowohl Mamash und ihre gerade erst neugeborene Tochter, als auch Jukon mit seinen Söhnen Jar, Jundari und Jugari (den Drillingen ungefähr im Alter Sanyarins) schlossen sich ohne Angabe von Gründen dem Lager an. Und obwohl viele den Neulingen nicht trauten, so stellten sich diese im Laufe der Zeit als für die Gemeinschaft sehr nützliche Ergänzung heraus (einmal in naturkundlicher, einmal in runentheoretischer Hinsicht). Weiteren Zuwachs erhielt das Lager aber auch durch einige Geburten und unter den Neugeborenen war auch Ashi.
Das Gerücht um das neue Lager der Brigantai wurde auch am Hof vernommen und es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein weiteres Mal ein Trupp Schwertmeister entsannt worden wäre um das Problem entgültig zu bereinigen. Doch das Schicksal wollte es, dass just in dieser Zeit der Insellord starb, worauf ein heftiger Kampf um die Nachfolge entbrannte. Doch nicht nur Ehre und Waffen sollten die Schwertmeistern zum Herrschersitz geleiten, sondern auch Intrige und Verrat. Mit Aidan Danhamur sprachen die Götter ein klares Urteil. Der beste Kämpfer des Hofes, der sich aus allen Intrigen heraushielt, ging als strahlender Sieger aus den beinahe fünfzigtägigen Auseinandersetzungen hervor. Da es eigentlich keine Schande wäre sich einem Sieger anzuschliessen, müsste man erwarten, dass der Hof nun wieder geschlossen gegen aussen aufgetreten wäre. Dies verhinderte allerdings die Rachsucht und der Verfolgungswahn des neuen Insellords. Er verdächtigte viele seiner eigenen Kämpfer Intrigen gegen ihn gesponnen zu haben, respektive immer noch zu spinnen. Viele Kämpfer hatten keine andere Wahl, als mit einigen Habseeligkeiten aus der Stadt zu fliehen.
Einige dieser Kämpfer wurden von Sayon ins Lager geholt, obwohl er wusste, welche Gefahr dies bedeutete. Wäre nur ein Verräter darunter gewesen, so hätte dieser das Lager entweder sofort ausgelöscht oder seinen Kollegen in der Stadt verraten. Glücklicherweise ging diesbezüglich Sayons Rechnung auf und die ehemaligen Guerai brachten den Brigantai etwas das Sayon schon die ganze Zeit von den Göttern erbeten hatte: den Kampf. Nicht nur die professionell gearbeiteten Waffen der Guerai sondern deren Wissen und Kampftechnik, wären nach Sayons Meinung für die Brigantai von unschätzbarem Wert. Er muss mit etwas Bestürzung festgestellt haben, dass viele der Lagerbewohner seine Vision von einem Kampf gegen den Insellord nicht teilten. Für sie war es nicht ersichtlich wie Sayon den Insellord dazu zwingen wollte, ihre Verbannung wieder rückgängig zu machen.
Aber nicht alle geflohenen Guerai wurden ins Lager geholt. Diese anderen bildeten ebenfalls kleine Gruppen von Brigantai, auch wenn diese mit den Bewohnern des Lagers nichts gemeinsam hatten. Diese neuen Brigantai lebten auf Kosten der Bauern in den Dörfern draussen, so wie sie es sich von ihrer Zeit als Guerai her gewohnt waren. Die drei Banden, welche sich nicht nur untereinander bekämpften, sondern sich auch regelmässig mit ausgesandten Guerai Scharmützel lieferten, wurden bald zu einer Plage für den Insellord. Kein Wunder, dass sich in dieser Zeit das im ganzen Archipel verbreitete Gerücht etablierte, dass der Insellord das Brigantai-Problem nicht im Griff habe. Tatsächlich unternahm der Insellord nur halbherzige Versuche dem Problem Einhalt zu gebieten, da er erkannte, dass ein offener Kampf gegen so viele gut geschulte Kämpfer sehr verlustreich sein würde. Er wartete ab, war er sich doch sicher, dass sich die Banden gegenseitig auslöschen würden.
Zwar waren die Einschätzungen des Insellords völlig korrekt und die Banden dezimierten ihre Mitgliederzahlen gegenseitig, doch bedeutete dies eine Zeit des Terrors und des Hungers für die Bauern. Und genau diese Tatsache nutzte Sayon aus. Mit einigen inzwischen den Umgang mit Eisenwaffen geübten Kämpfern, stellte er den geschwächten Banden nach und erbeutete so nicht nur deren Recourcen, wie zum Beispiel Waffen, sondern konnte sich vor den Bauern auch noch als Befreier aufspielen. Damals nahm die Sitte ihren Anfang, dass die Bauern die Brigantai mit Reis versorgten, diese ihnen im Gegenzug bei der Beseitigung von kleineren Problemen behilflich waren.
Noch lange Zeit nach dem Tod des letzten Bandenmitglieds (einige z.B. Ra’Ida wurden damals noch ins Lager integriert), glaubte der Insellord daran, dass es ehemalige Guerai wären, die sporadisch Transporte auf der Insel überfallen und auch den einen oder anderen Guerai erledigt hatten. Tatsächlich war dies aber das Werk von Sayon und jener paar Brigantai, welche Willens waren, den Kampf gegen den Insellord aufzunehmen. Diese Raubzüge bescherten dem Lager wichtige Rohmaterialien, die für das wieder wachsende Lager notwendig waren, ohne die Bauern zu schädigen.
Es waren viele hundert angenehme Tage, die ins Land zogen, während sich im Lager immer mehr und mehr Dinge zu Selbstverständlichkeiten entwickelten. Man hatte sich endgültig an das Leben im Wald gewöhnt und eine Normalität stellte sich ein, als gäbe es das Lager schon seit einer Ewigkeit. Während Sayon der unbestrittene Anführer bliebt, wuchs Sanyarin zu einem jungen Mann heran, der in seinem Handlungsdrang seinem Onkel nicht nachstand. Sanyarin war jedoch weniger impulsiv und launisch, wie sein Onkel. Da Sayon fest damit rechnete, dass Sanyarin irgendwann seine Stelle im Lager übernehmen würde, war es ihm ein besonderes Anliegen, seinen Neffen in seinem Geiste zu erziehen, wobei sich aber eine Differenz nicht beseitigen liess: Auch wenn Sanyarin selber mit der Schwinge sehr geschickt umzugehen gelernt hatte, was ihm hauptsächlich bei der Verteidigung gegen Monster der Waldes zunutzen kam, so war er der Meinung, dass der Kampf seines Onkels nichts bringen würde.
Eines Abends kehrten Sayon und seine Begleiter von einem Überfall nicht mehr zurück. Während die meisten Brigantai die Ansicht vertraten, dass es durchaus mal passieren könne, dass man im Wald von den schwarzen Stunden überrascht werde, hatte Sanyarin das ungute Gefühl, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste. Trotz der Warnungen der anderen Bewohner des Lagers packte Sanyarin seine Sachen und zog noch am selben Abend los um seinen Onkel zu suchen.
Was in den folgenden sechs Tagen geschah wissen nur wenige Personen und diese bewahren Stillschweigen darüber. Tatsache ist, dass man im Lager schon davon überzeugt war, dass die Dhana’s – eigentlich ja die Gründerfamilie des Brigantailagers – inzwischen ausgelöscht war. Doch just als man sich darüber Gedanken zu machen begann, wer nun die Geschicke des Lager leiten sollte, kehrte zumindest einer der Vermissten zurück: Sanyarin. Er wurde von einem grossen, muskulösen aber schweigsamen Schwertmeister begleitet, der dem Lager als Batarama Batu vorgestellt wurde. Doch dies war nicht die einzige Überraschung für das Lager, denn als Sanyarin das um seinen Kopf gewickelte Tuch abnahm erkannte jedermann sein inzwischen metallen glänzendes Haar. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass Sanyarin in seinen jungen Jahren (gerade mal ca. 18) bereits die Schwertmeisterprüfung abgelegt hatte. Über die Führung des Lagers mochte es nun keine Differenzen mehr geben: Sanyarin hatte als einer der beiden Schwertmeister des Lagers und als einziger Erbe seiner Familie diesen Posten automatisch inne.
Die Entscheidung Sanyarin zum neuen Anführer des Lagers zu ernennen, war für ihn zwar eine grosse Ehre, doch wäre der junge Mann damit völlig überfordert gewesen, wäre da nicht Batu ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Natürlich war Batu, als Schwertmeister mit den Kennzeichnungen der Insel Akimakar, zunächst dem Argwohn und gar Feindseligkeiten von Lagerbewohnern ausgesetzt, welche die Bilder des Massakers bei der Vernichtung des Dorfes nicht versessen konnten. Der verschwiegene Kämpfer nahm all die Anfeindungen hin und quittierte diese nur mit einem müden Lächeln, welches absolut nichts mit Heiterkeit zu tun hatte. Und obwohl ihm viele nicht über den Weg trauten, so war es nicht zuletzt sein Einsatz, der die damals bevorstehenden Ereignisse glimpflich enden liess.
Die Ära Sanyarin hätte schon nach nur vier Tagen zuende sein können, denn der Insellord hatte beschlossen wieder einmal Jagd auf die Brigantai zu machen. Es hält sich das hartnäckige Gerücht, dass einer der Männer Sayons gefangengenommen und verhört wurde, worauf er den Standort des Lagers bekannt gab. Tatsache ist, dass ein Trupp Guerai zielsicher durch den Wald in Richtung Lager vorstiessen. Es war der Aufmerksamkeit der Kämpferin Janmara Ra’Ida zu verdanken, dass eine Katastrophe wie beim Überfall auf das Dorf verhindert werden konnte.
Innert weniger Stunden wurde das Lager abgebrochen, um es an auf einer anderen von den Jäger vorgeschlagenen Lichtung, an einem anderen kleinen Fluss wieder aufzustellen. Was man nicht mittragen konnte, wurde vergraben oder verbrannt. Während sich der Grossteil der Lagerbewohner nun auf den Weg zum neuen Lagerplatz machte, blieben Batu und zwei Jäger zurück und verwischten die Spuren der Brigantai so gut es ging. Es sollte so aussehen, als ob dieses Lager der Unterschlupf von nicht mehr als zehn Personen war, von denen die Männer des Insellords schon ein paar beseitigt haben dürften. Und obwohl die Guerai entraffen, noch bevor die letzten verräterischen Zeichen beseitigt werden konnten, so wirkte die Szenerie auf sie überzeugend. Seit diesem Zeitpunkt glaubt der Insellord, dass sich nur noch eine Handvoll Brigantai in den Wäldern herumtreiben, mit denen er sich abfinden kann.
Dieses Mal ging der Aufbau des Lagers um einiges schneller voran. Schon nach zwei Tagen, hatte jeder wieder sein Heim und nach fünf Tagen war das Lager wieder genauso gemütlich, wie das alte, auch wenn es immer noch ein paar Personen geben mag, die dem alten nachtrauern. Sanyarin hatte die Bewährungsprobe als Anführer glänzend gemeistert und Batu wurde dank seines Engagements zumindest akzeptiert.
Seit diesen Ereignissen verbringen die Brigantai als die heimlichen Herren der Wälder eine ruhige Zeit. Der Wald liefert ihnen das meiste, was sie benötigen. Zusätzliche Grundnahrungmittel bekommt man von den Bauern und der eine oder andere Überfall auf einen Händler oder einen Schwertmeister versorgt das Lager mit Werkzeugen und sonstigen Gütern aus der Stadt. Da man sich in dieser Zeit der Beschaulichkeit nun auch wieder mehr dem Handwerk widmen kann, hat vor allem die Holzbearbeitung wieder zugenommen. Es müssen auch nicht mehr alle auf die Jagd um das Lager, so gross es auch nun geworden ist, zu ernähren. Ein exzellenter Bogenbauer und zwei gute Schnitzer sind die Folge davon.
Die friedvolle Zeit unter Sanyarins weiser, von Batu stark mitgeprägten Führung lässt sich nur sehr schwer unterteilen. Markante Ereignisse gab es – glücklicherweise? – nur sehr wenige. Nur Awwe’s Schwermeisterprüfung (vor ca. 6 Jahren), und auch diejenige der Drillinge (vor ca. 2 Jahren) sind da speziell zu erwähnen. Ansonsten muss man sich bei Datumsangaben mit den Geburten der Kinder behelfen oder mit den Festen, in welchen die Kinder jeweils in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden. Auch wenn sich im ganzen Archipel anders lautende Gerüchte halten, so glaubt der Insellord noch heute an die ihm vorgespielte unbedeutende kleine Brigantaigruppierung auf seiner Insel.
Diese Zeit des Friedens im Lager wurde mit einer für Tharun untypischen Philosophie gesichert: Gleichberechtigung. Jeder wird aufgrund seiner Leistungen eingestuft. Jeder darf tun und machen, was er will, solange er anderen nicht schadet. Natürlich werden diese Grundsätze ab und zu auch mit sehr tharunschen Ansichten korrumpiert, doch haben sie sich im Grossen und Ganzen bewährt.
Und heute? Auch heute wurden aus den schwarzen die blauen Stunden geboren, das Zeichen dafür, dass ein weitere Tag begonnen hat, doch dieses Mal liegt es an Euch meine Freunde, Geschichte zu machen...